Konstruktiver Ungehorsam
„Konstruktiver Ungehorsam“ in Wörgl am Inn 1932/33
In der renommierten Fachzeitschrift „Der österreichische Volkswirt“ war in einem Beitrag von Franz Klein im Mai 1933 zu lesen: „Die Marktgemeinde Wörgl hat im Jahre 1932 durch Ausgabe von Schwundgeld ihren zerrütteten Haushalt in Ordnung gebracht, umfangreiche Investitionen durchgeführt und die Wirtschaft ihrer Bürgerschaft belebt. All das zusammen ergibt das Wunder von Wörgl, von dem nicht nur das Inntal widerhallt.“
(Bildquellen: Deckblatt der in Wörgl erscheinenden Aufwärts-Schriften, Mai 1933. Abbildung eines Wörgler Arbeitswertscheines)
Was war geschehen? Mitte des Jahres 1932 startete der Gemeinderat der Tiroler Ortschaft den Versuch, die Engpässe in der Haushaltskasse durch eine regional begrenzte Geldschöpfungsaktion zu überwinden. Mit tatkräftiger Unterstützung der örtlichen Raiffeisenkasse wurden sogenannte „Arbeitswertscheine“ emittiert und der Gemeinde als Finanzierungsvolumen zur Verfügung gestellt. Gedeckt wurden die Arbeitsbestätigungen durch Schilling-Beträge und zusätzlich durch Wechsel. Wörgl standen nun ausreichend Mittel zur Verfügung, verschiedene Arbeitsbeschaffungsprogramme vor allem im Bereich der Infrastruktur in Gang zu setzen. Zur Gewährleistung einer raschen Zirkulation des Geldes (und um ein Weiterdrehen der Deflationsspirale zu verhindern) wurde ein monatlicher Schwundverlust von einem Prozent festgelegt. Durch die Eröffnung des zweiten Geldkreislaufes verbesserten sich die Nachfragegegebenheiten erheblich, bedingt durch den Umlaufantrieb flossen die ausgegebenen Mittel in Form von Steuern rasch wieder in die Gemeindekasse zurück. Der deutlichste Erfolg ergab sich aus einer spürbaren Senkung der Arbeitslosenrate. Während in ganz Österreich zwischen 1932 und 1933 die Zahl beschäftigungsloser Personen um rund 20 Prozent anwuchs, verbesserte sich die Arbeitsmarktlage im Gebiet Wörgl spürbar. In verschiedenen Blättern war bald von einer „blühenden Stadt im Krisen-Österreich“ die Rede, und auch auf internationaler Ebene erlebte das Geldexperiment erhebliche Resonanz. Bald wurden auch andere Gemeinden von der Notgeld-Euphorie erfasst. Kirchbichl, der Nachbarort Wörgls, schloss sich im Jänner 1933 dem Freigeld-Versuch an, in Brixlegg, Hopfgarten, Schwaz und Lilienfeld bildeten sich ebenfalls Mehrheiten für eine derartige Lösung, sogar im Gemeinderat von Linz wurde ein entsprechender Antrag eingebracht. Im Sommer 1933 wurde die Idee des Freigeldes in Wien auf Ministerratsebene diskutiert, wobei es mehrere anerkennende Stellungnahmen gab. Doch warnte der Bundesminister für Finanzen Karl Buresch davor, dass „das schlechte Geld das gute Geld verdrängen“ würde. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß bekannte sich in seinem Schlusswort dazu, „wilde Experimente“ auf dem Gebiete des Geldwesens strikt abzulehnen. Dadurch, dass sich die Regierung auf einen antiinterventionistischen Kurs festgelegt hatte, standen die Chancen für eine währungspolitische Wende hin zu einer aktiven Konjunkturpolitik denkbar schlecht. Von Behördenvertretern war die Wörgler Aktion bereits seit geraumer Zeit misstrauisch beäugt worden. Unter Verweis auf den Artikel 122 des Nationalbankgesetzes war auch schon zu Jahresbeginn 1933 die Einstellung des Experiments gefordert worden. Der anschließende Verhandlungsmarathon benötigte jedoch Zeit, bis schließlich der Verwaltungsgerichtshof in Wien ein Machtwort verlauten ließ und Mitte September 1933 das endgültige Aus für die Wörgler Währung erzwungen wurde. Zur Unterbindung weiterer Selbsthilfeaktivitäten reichte das Verbot der Wörgler Aktion jedoch nicht aus. Um sich einem neuerlichen Vorwurf des Verstoßes gegen das Notenprivileg der Nationalbank zu entziehen, entstanden nun verschiedene Tauschkreise. Die Mitglieder derartiger Zirkel gingen dazu über, sich ihre wirtschaftlichen Leistungen gegenseitig in Form des bargeldlosen Verkehrs zu verrechnen, wobei als Besonderheit Kredite in zinsloser Form gewährt wurden. Dieses auf Erzeugerbedürfnisse abgestimmte Modell beinhaltete den Grundgedanken, ungenütztes Produktionspotenzial durch einen Ausbau des Warenclearing und durch eine (buch-)geldmäßig induzierte Erhöhung der Nachfrage zu mobilisieren. Selbsthilfegemeinschaften dieser Art waren etwa die reg. Genossenschaft m.b.H. Waren-Tausch- und Kreditvereinigung (WATAK) in Innsbruck, die Arbeits-, Tausch- und Kreditgenossenschaft (ARTA) in Wien und die Arbeitsgenossenschaft m.b.H. (ARGENOT) in Graz. Aber auch diese Initiativen waren Schikanen von behördlicher Seite und zunehmenden Einschränkungen ausgesetzt – etwa durch eine „Anpassung“ des Genossenschaftsrechtes.
Literatur:
Wolfgang Broer: Schwundgeld: Bürgermeister Michael Unterguggenberger und das Wörgler Währungsexperiment 1932/33, Innsbruck - Wien - Bozen 2007.
Franz Klein: Wörgler Währung, in: Der österreichische Volkswirt, (25) 35/1933, 830-933.
Ministerratsprotokolle, Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß, Band 4, Abteilung VIII, 892/10, (Bearbeiterin: Eszter Dorner-Brader), Wien 1984, 245 f.