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Freiwirtschaftliche Sozialisten

Flugblatt der Freiwirtschaftlichen Sozialisten

Anknüpfend an die Tätigkeit des Freiwirtschaftsverbandes der Zwischenkriegszeit, der ein Sammelbecken unterschiedlicher Strömungen dargestellt hatte, entstand in Westösterreich unmittelbar nach 1945 der Demokratische Freiheitsbund mit Standorten in Dornbirn und Lustenau. Die Redaktion des 1948 gegründeten Organs „Freie Tat. Unabhängige Wochenschrift für persönliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ übernahm Julius Kronegger (?-1967). Als eigene Gruppe versuchten die in Ostösterreich aktiven Freiwirtschaftlichen Sozialisten ab 1945 Einfluss auf die Programmgestaltung der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) zu gewinnen.
(Bildquelle: Flugblatt, Pierre Ramus-Archiv, Wien)

Vertreten waren die Freiwirtschaftlichen Sozialisten vor allem in ihren Kerngebieten Wien und Linz. Ihr Wochenblatt „Der Ausweg. Kampfblatt für persönliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ erschien erstmals 1947. Die Schriftleitung übernahm der Oberösterreicher Josef Hammerl. Ausgehend von der Sozialisierungsdebatte der Zwischenkriegszeit und vom sozialdemokratischen Programm von 1926 wurden zahlreiche Vorschläge und Programmentwürfe an verschiedene Parteigremien herangetragen, die eine deutliche freiwirtschaftliche Handschrift trugen. Bemerkenswert waren angesichts des herrschenden Rohstoffmangels allein schon die Unmengen hektografierten Papiers, die damit in Umlauf gebracht wurden. Das „Minimale Sofortprogramm“ der Freiwirtschaftlichen Sozialisten vom 2. August 1945 enthielt folgende Punkte:

  1. „Volle Währungsautonomie für Österreich. Schaffung eines unabhängigen Währungsamtes ohne bankmäßige Bindungen.

  2. Einführung einer Indexwährung.

  3. Kontrollrecht für die (Preis-)Indexerstellung durch Gewerkschaften, Gewerbe-, Handels- und Landwirtschaftskammern.

  4. Finanzierung des Wiederaufbaus durch eine Vermögensabgabe und durch eine den Mitgliedern der NSDAP auferlegte, nach Einkommen und nach ihrer Betätigung progressiv gestaffelten Steuer.

  5. Einziehung des Grund und Bodens jener Mitglieder der NSDAP, die sich in der Bewegung besonders hervorgetan haben.

  6. Rückkauf allen freiwerdenden Bodens durch den Staat auf Grundlage eines öffentlichen Vorkaufsrechts.

  7. Schaffung eines staatlichen Bodenamtes für den rückgeführten bäuerlichen Boden unter Leitung und Kontrolle der Bauern und Landarbeiter.

  8. Verpachtung allen rückgeführten (landwirtschaftlichen) Bodens an Bauern und Landarbeiter (unkündbare Erbpacht).“

Auf den ersten Blick schienen die Positionen der Parteispitze und der Gruppe der Freiwirtschaftlichen Sozialisten gar nicht weit auseinander zu liegen. In seiner Rede auf dem Parteitag der SPÖ Ende Oktober1947 sprach Karl Waldbrunner davon, dass es in erster Linie darum gehen müsse, der „arbeitenden Bevölkerung den Ertrag ihrer Arbeit“ zu sichern, dass die Inflationsentwicklung in diesem Zusammenhang eine massive Gefahr darstelle und dass eine „Besserung der Ernährungslage im Lande“ nur auf der Basis einer Stärkung der „Eigenproduktion“ möglich ist. Waldbrunner, der als technikaffiner wirtschaftspolitischer Instruktor über zunehmenden Einfluss innerhalb der Partei verfügte, verfolgte jedoch eigene Zielsetzungen. Ihm ging es um den Aufbau eines staatsökonomischen Sektors in den Bereichen des Bankenwesens sowie in der Grundstoff- und Stahlindustrie, wobei Letztere ein kontinuierliches Wachstum der Wirtschaft sichern sollte. Mit dem ersten Verstaatlichungsgesetz 1946 wurden Dutzende Betriebe aus Industrie und Gewerbe sowie drei Großbanken unter staatliche Obhut gebracht. Das zweite Verstaatlichungsgesetz 1947 betraf nahezu die gesamte Elektrizitätswirtschaft. Während eine kritische Betrachtung des weltumspannenden, seine ökonomische Macht beständig vermehrenden Finanzkapitals in den Schriften der Freiwirtschaftlichen Sozialisten erkennbar blieb, fand sie in der Neuausrichtung einer „pragmatisch“ gewordenen Sozialdemokratie keinen Niederschlag. Hans Magnus Enzensberger hielt in einem Essay über den europäischen Einigungsprozess einmal pointiert fest, dass es in der Wiederaufbauzeit primär um Rohstoffe und industrielle Entwicklung gegangen sei und dass damals kaum jemand daran dachte, „zwischen einer ‚realen‘ und einer irrealen (nämlich der Finanz-)Wirtschaft zu unterscheiden“ („Sanftes Monster Brüssel“, 2011). Doch wäre in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg manches absehbar gewesen. Immerhin prognostizierte der französische Ökonom Jean Fourastié bereits 1949 dramatische Verschiebungen auf dem wirtschaftlichen Gebiet und den Bedeutungsverlust industrieller Produktion („Le Grand Espoir du XXe siècle“). Die Freiwirtschaftlichen Sozialisten, die frühzeitig auf die Gefahren des Finanzmarkt-Kapitalismus hingewiesen hatten, blieben eine Minderheit. Als sich die Konflikte im Zuge der Programmdiskussion mehrten, reagierte die Führung der SPÖ mit einzelnen Parteiausschlüssen – ganz nach dem Motto: „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“. Die Unverwundbarkeit des „Königreichs Waldbrunner“ sollte jedoch rascher als gedacht infrage gestellt werden. In den 1980er Jahren geriet der öffentliche Sektor verstärkt in den Sog des Finanzmarkt-Kapitalismus, sodass staatliche Industrie und Bankenwesen in Österreich gehörig in Turbulenzen gebracht wurden.

Quellen:
  • Denkschrift der Freiwirtschaftlichen Sozialisten. An die Bezirksleitung der Sozialistischen Partei Österreichs in Linz, 2. August 1945, vervielfältigtes Manuskript. Pierre Ramus-Archiv, Wien.

  • Programmentwurf für die Sozialistische Partei Österreichs, zusammengestellt nach dem Linzer Programm vom 3. November 1926 und dem Stande der derzeitigen kapitalistischen Entwicklung angepasst, ohne Datum und Ortsangabe, vervielfältigtes Manuskript. Pierre Ramus-Archiv, Wien.

  • Parteivorstand der Sozialistischen Partei Österreichs (Hg.): Protokoll des Dritten Parteitages der SPÖ, Wien, 23.-26. Oktober 1947.