npoSandpit: Behindert „sein“ – behindert „werden“?
Zur Frage von organisationalen Mythen rund um das Thema „Talent“ und „Behinderung“
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„Sandpits“ sollen die Entwicklung innovativer Forschungsprojekte begünstigen, indem Praktiker*innen schon in der Konzeptionsphase der Projekte eingebunden werden. Mit dieser Veranstaltung wollen wir bei npoAustria praxisrelevante Forschung fördern.
Das Thema Behinderung wird immer noch allzu oft als „Randphänomen“ betrachtet, das eine kleine Minderheit betrifft, die „schwach“ und „hilfsbedürftig“ sei. Ein genauer Blick zeigt allerdings, dass das Thema weder Randphänomen ist – selbst eine traditionelle Zählweise von Menschen mit Behinderung in der Gesamtbevölkerung Österreichs weist eine Streuungsbreite von 1 bis 1,7 Millionen Menschen auf (vgl. BMASK, 2013: 1) – noch, dass die Grenzen so eindeutig gezogen werden können. Dementsprechend erweist sich das Thema als hoch kontrovers und offenbart Unklarheiten der Kategorisierung und der Bedeutungszuschreibung. Behinderung kann dementsprechend nicht nur als Kontinuum verstanden werden, das sich nicht nur über verschiedene Ausprägungsformen von Behinderung erstreckt, sondern umfasst auch ihr polares Gegenstück – „Talente“ und „High Potentials“. Bei genauerer Betrachtung erweist sich die Grenze zwischen „behindert“, „nicht behindert“ und „Talent“ demnach als gar nicht so leicht zu ziehen. Dementsprechend ergeben sich zahllose definitorische Probleme, die von medizinischen oder psychologischen Definitionen, bis hin zur Frage der Diversität von Fähigkeiten und vermeintlichen Schwächen reichen. Mit welcher Beeinträchtigung zählt man/frau als behindert? Welche Fähigkeiten zählen, welche nicht?
Gleichzeitig zeigen diese definitorischen Probleme auf, dass es nicht um ein „behindert sein“ geht, also um das Individuum allein, sondern vielmehr um ein „behindert werden“, das immer in sozialen Prozessen hergestellt wird. Um dieses Thema etwas aus den verfestigten Schemata und Denkweisen zu holen, richten wir in unsere Forschungsarbeit dementsprechend den Fokus auf Prozesse, die Menschen (aller Facetten) an einer sinnstiftenden und erfolgreichen Teilnahme am Arbeitsprozess „behindern“, während sie andere bevorzugen.
Dieses Thema umfasst prinzipiell alle Menschen und Organisationen. Da das Thema „Behinderung“ jedoch oftmals von NPOs vorangetrieben wird, erhoffen wir in diesem Sandpit einen Austausch zu Erfahrungswerten, konzeptioneller Kritik, Ideen, Wünschen und Hoffnungen.
Wir laden daher Vertreter*innen von NPOs ein, die sich für den Themenkreis Fähigkeiten-behindert werden-Talent interessieren und/oder sich zu diesem Thema einbringen möchten. Mit ihnen möchten Daniel Semper und Alexander Fleischmann Ideen für ihr Forschungsprojekt über organisationale Praktiken, die behindern, indem sie manche Personen als Talente etikettieren, während andere als behindert stigmatisiert werden, austauschen. Es geht um ein neues Verständnis zum Thema Talente vs. „Behinderte“.
Wir starten mit einem kurzen Input zum aktuellen Stand der Forschung. Danach sind Ihre Erfahrungen gefragt: In Einzelarbeit und Kleingruppen können Sie Ihre Erfahrungen mit dem Thema Talent/Behinderung reflektieren und in dieses Forschungsprojekt einbringen. Welche Erwartungen haben Sie an ein Forschungsprojekt zu diesem Thema? Welche Stolpersteine könnte es auf dem Weg eines solchen Projekts geben? Alle aus den Diskussionen gewonnenen Erkenntnisse und weiterführende Fragen werden wir anschließend gemeinsam bearbeiten und bündeln.
Idealerweise gibt Ihnen dieser Workshop die Möglichkeit, Ihre eigenen Zugänge zu reflektieren, sich mit anderen Praktiker*innen zum Thema auszutauschen, Ihre Schwerpunkte und Interessen in das Forschungsprojekt einzubringen und zu nützlichen Forschungsergebnissen beizutragen.
Daniel Semper ist wissenschaftliche Mitarbeiter Postdoc am Institut für Nonprofit Management der WU. Er forscht zu organisationalen Themen institutionalisierter Ungleichheit und zu Prozessen des institutionellen Wandels in und zwischen organisationalen Feldern. Promoviert hat Daniel Semper an der JKU Linz zum Thema Kategorisierungsprozesse in organisationalen Feldern. Er war Fellow der University of Alberta in Kanada, der HSE in Russland, der Universität Bergamo in Italien, sowie der UTS Sydney in Australien. Aktuell ist er neben seiner Beschäftigung an der WU Research Fellow der Stockholm School of Economics.
Alexander Fleischmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter Postdoc an der IMD Lausanne, Schweiz, wo er in einem Projekt zu Möglichkeiten, Inclusion zu messen arbeitet. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Gender und Diversität in Organisationen, Queer Theory, alternativen Organisationen und Ökonomien sowie zuletzt mit der Frage, wie Solidarität organisiert werden kann. Seine Arbeiten erschienen in Organization; Work, Employment and Society; Gender in Management: An International Journal; Journal of Management and Organization sowie ephemera – Theory and Politics in Organization.