Grow East Congress 2020
Grow East Congress 2020 - Rückblick: „Neustart des Wachstums in Mittel- und Osteuropas: Treiber und Hemmnisse“
Am 27. November 2020 fand der 11. Grow East Congress erstmals im virtuellen Format statt. Dabei beschäftigten wir uns mit der Frage, wie die Unternehmen in den mittel- und osteuropäischen Ländern (CEE) nach dem Coronavirus-bedingten Wirtschaftseinbruch wieder durchstarten werden. Neben den Eröffnungsvorträgen zum Kongressthema widmeten sich die zwei nachfolgenden Panels der Rolle des Humankapitals sowie lokaler Innovationen als Wachstumstreiber für die Volkswirtschaften der Region. Zur Diskussion darüber haben die Veranstalter – Arnold Schuh vom Competence Center for Emerging Markets & CEE der WU Wien, Manfred Berger vom Neusicht Think Tank und Gregor Postl von der Aussenwirtschaft der WKO – Wissenschaftler, Führungskräfte und Unternehmer aus der Region eingeladen, die ihre Studienergebnisse und Geschäftserfahrungen zu den Themenstellungen einbrachten.
Die erste globale Krise ohne eine große Ursache
Den Kongress eröffnete Patrick Sagmeister, Stellvertretender Leiter der Aussenwirtschaft Österreich, mit einem klaren Bekenntnis zu Mittel- und Osteuropa. Ein 20% Anteil an den österreichischen Exporten und 10.000 Tochtergesellschaften in der Region zeugen von der hohen Bedeutung dieser sich dynamisch entwickelnden Märkte für die österreichische Wirtschaft. Arnold Schuh, Direktor des Competence Center for Emerging Markets & CEE, hob in seinem Vortrag die zentrale Rolle der Digitalisierung, der Innovationsfähigkeit und der EU Transfers für die Modernisierung der CEE-Volkswirtschaften hervor. Wesentliche Hemmnisse für den anstehenden nachhaltigen Wachstumsschub sind die mittelfristig wiedereinsetzende Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften sowie die schwache und sich kaum verbessernde institutionelle Qualität. Er erwartet sich eine Zunahme der weitverbreiteten Korruption im Zuge der enormen Mittelzuflüsse von Staat und EU zur Bekämpfung der Covid-19 Pandemie. Das ist bedauerlich, da institutionelle Qualität und wirtschaftliche Entwicklung sich gegenseitig bedingen. Piotr Płoszajski, emeritierter Professor der Warschauer Wirtschaftshochschule (SGH), warnte davor, diese Krise wie andere zu sehen. Es ist die erste richtige globale Krise, die gleichzeitig auftritt und alle Menschen der Welt potentiell bedroht. Und es ist die erste globale Krise ohne eine große Ursache. Seiner Einschätzung nach werden wir in Zukunft mehr von diesen Krisen erleben, die von kleinen, unvorhersehbaren, einzigartigen Anlässen ausgelöst werden und sich dann kaskadenhaft global ausbreiten.
Dezentralisierung und Qualifikationsausbau als Antwort auf die Krise
Sonia Ferencikova, Professorin der Wirtschaftsuniversität in Bratislava eröffnete das Panel zum Humankapital und den notwendigen Qualifikationen für das weitere Wirtschaftswachstum. Mit der Covid-19 Krise sind wir nun in der VUCA-Welt angekommen. Bisher wurde gerne darüber gesprochen, aber kaum einem war richtig bewusst, dass wir bereits in dieser volatilen und von Unsicherheit geprägten Welt leben. Mit dieser Krise wird das Personalmanagement zum wichtigen Partner der Unternehmensleitung, da der Ausbau von Qualifikationen wie den digitalen Fähigkeiten, der Motivation der Mitarbeiter und der Führung aus der Distanz zentral für den Unternehmenserfolg werden. Roman Biller und Wolfgang Braunböck vom weltgrößten Datenbanksystemanbieter Oracle berichteten darüber, wie die starke Nachfrage von öffentlicher und privater Seite das Geschäft ankurbelt. Für sie ist die Wachstumsausrichtung und die gute Betreuung der Kunden in dieser Krise wichtiger als Kosteneinsparungen. Sie gehen davon aus, dass digitale Kommunikationswerkzeuge wie Zoom und Slack auch ihre zukünftige Arbeitswelt bestimmen werden. Jelena Cerar von der WU Wien setzte in ihrem Vortrag den Fokus auf eine andere Art der Qualifikation, nämlich auf die Managementpraktiken zur Produktivitätssteigerung bei produzierenden Unternehmen im Westbalkan. Ausländische Investoren siedeln sich dort gerne an, um die kostengünstigen und zugleich gut ausgebildeten Arbeitskräfte zu nutzen. In ihrer Studie zeigt sie die großen Steigerungspotentiale auf, die v.a. durch die Bereitstellung schriftlicher Dokumentationen, Instruktionen und Trainings durch die Unternehmenszentralen für ihre produzierenden Tochtergesellschaften erreicht werden können. Olga Knyazeva von Henkel CEE berichtete darüber, wie durch den Übergang zu agilen Strukturen, die die dezentrale Entscheidungsfindung und das Empowerment des lokalen Managements unterstützen, sowie durch die Förderung der Fähigkeiten der Mitarbeiter auf die Krise richtig reagiert wurde. Die Bereitschaft und Fähigkeit zum schnellen Lernen und zur Aneignung neuer (digitaler) Fähigkeiten werden bei der Mitarbeiterauswahl und Beförderung in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen. Günther Tengel, geschäftsführender Gesellschafter des Executive-Search Spezialisten Amrop Jenewein, unterstrich die ablaufenden Veränderungen hin zur Digitalisierung, Dezentralisierung und neuen Arbeitswelt mit Homeoffice. Statt der traditionellen 3-Phasen „Ausbildung – Arbeit – Ruhestand“ bewegen wir uns derzeit auf 6 bis 10 Phasen zu, die durch unterschiedliche Kombinationen von Privat- und Arbeitsleben gekennzeichnet sind. Zugleich gab er auch ein Plädoyer für den Betrieb als wesentlichen Treffpunkt der Mitarbeiter ab, wo es um persönlichen Austausch und Vertrauensbildung geht, und der natürlich auch zentral für das Employer Branding ist.
Innovationen „Made in CEE“
Im Panel zu „Innovativen und digitalen Lösungen aus CEE als Wachstumstreiber“ haben Vertreter von vier erfolgreichen Innovatoren einen Einblick in ihre Geschäftsmodelle gewährt. Martin Němeček, Verantwortlicher für die internationale Expansion bei ALZA, dem führenden E-Commerce Unternehmen in CEE, erläuterte, wie ALZA bewusst auf Innovationen in der Krise setzte. Das vorherrschende Startup-Mindset half ALZA, rasch auf die stark steigende Nachfrage zu reagieren. Dazu zählten beispielsweise die Nutzung der schwach ausgelasteten Taxis in Tschechien für die Warenauslieferung oder die direkte Belieferung von KfZ-Kofferräumen in Kooperation mit Skoda – und diese Innovationen werden auch nach der Krise beibehalten. Calin Vaduva, Gründer von FORTECH, hob die Bedeutung von branchenübergreifenden Partnerschaften hervor, die ein rasches Aufgreifen von Absatzmöglichkeiten ermöglichen. So hat FORTECH im Jahr 2019 als Technologiepartner mit einer US-amerikanischen Beratungsfirma das auf künstlicher Intelligenz basierende Portfolio-Risk-Management-Programm AIPERION entwickelt. Andrei Roth vom ersten rumänischen Technologie-Unicorn UiPath, dem Weltmarktführer in der Robotic Process Automation, verwies auf die Stärken im Innovationsbereich in CEE: eine gute Forschungsinfrastruktur und Ausbildung sorgen für eine breite Schicht an MINT-Absolventen, die die Humankapital-Basis für die ICT-Unternehmen darstellen. EU Fonds helfen Startups am Beginn, allerdings weniger beim Scaling-Up in der späteren Expansionsphase. Jedoch hat der „free money“ Charakter der EU Gelder auch eine gegenteilige Wirkung, da die Startups die anfängliche „Schweiß & Tränen“-Phase nicht so konsequent durchlaufen und so Kundenanforderungen und Vorteile der Konkurrenz übersehen. Den Abschluss bildete Krisztián Kurtisz, Gründer von CHERRISK by UNIQA, dem erfolgreichen InsurTech-Startup aus Ungarn, und Geschäftsführer der UNIQA Versicherung in Ungarn. Die vollständig digitale App CHERRISK gründet auf einem Grundprinzip des Versicherungsmodells, nämlich jenem der Schutzgemeinschaft. Der Community-Gedanke umfasst hier wohltätiges Wirken, wobei beim Kauf von Haushalts-, Reise- und Unfallversicherungen Cherries erworben werden, die für soziale Organisationen gespendet werden können. Nun ist CHERRISK dabei, den deutschen Markt zu erobern. CHERRISK ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie ein ungarisches Startup durch die Kooperation mit dem regionalen Player UNIQA über den Heimmarkt hinaus rascher expandieren kann und gleichzeitig den traditionellen Versicherer mit seinem Startup-Denken zur Agilität verhilft.
Der 11. Grow East Congress hat gezeigt, dass CEE mehr als ein kostengünstiger Produktionsstandort ist. Ausländische Unternehmen erwarten dort motivierte und gut ausgebildete Mitarbeiter sowie kooperationsbereite innovative Unternehmer. Wenn die CEE-Länder den Digitalisierungsschwung, die Kooperation mit ausländischen Unternehmen und die EU Transfers richtig nutzen, dann ist mit einer Fortsetzung des wirtschaftlichen Aufholprozesses zu rechnen.
Kontakt:
Ass. Prof. Dr. Arnold Schuh
Direktor - Competence Center for Emerging Markets & CEE
WU
Welthandelsplatz 1, 1020 Vienna
arnold.schuh@wu.ac.at
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