Gespräch der Präsidenten zur "Zukunft Europas"

09. Oktober 2018

Am 9. Oktober 2018 durfte die WU gleich drei amtierende europäische Staatsoberhäupter am Campus willkommen heißen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der slowakische Präsident Andrej Kiska und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier diskutierten mit Studierenden und der interessierten Öffentlichkeit über die „Zukunft Europas“. 

Im Rahmen dieser vom Institut für Europarecht und Internationales Recht und der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik – mit hervorragender Unterstützung der administrativen Abteilungen der WU – veranstalteten Diskussion thematisierten die drei Präsidenten einige der zentralen Herausforderungen und jüngsten Störungen in der europäischen Integrationspolitik und begaben sich auf eine Spurensuche hinsichtlich ihrer Ursachen. Anschließend erhielt das Publikum die einmalige Gelegenheit, seine Fragen an die hochkarätigen Gäste zu richten.

"Europa ist zu einer Adresse für Unbehagen und innenpolitische Auseinandersetzungen geworden“

Das deutsche Staatsoberhaupt Steinmeier sah den Brexit als Zuspitzung einer bereits länger andauernden Entwicklung – Europa werde immer mehr zur „Adresse für Unbehagen“ über Globalisierung, Migration und Störungen der Finanzwirtschaft. Mit diesem Ausgang des Referendums hätte aber auch der deutsche Bundespräsident nicht gerechnet. Dass gerade diejenigen, die die Europäische Union bisher gelebt haben, sich nicht am Referendum beteiligten, sei „eine besondere Tragik, die sich im Nachhinein nicht mehr reparieren lässt.“ Zudem sei Europa immer mehr zu einem Instrument von innenpolitischen Auseinandersetzungen in den Mitgliedstaaten geworden, ist Steinmeier überzeugt. Freihandel, Multilateralismus und Völkerrecht werden als Werte zunehmend in Frage gestellt, so wiederum Van der Bellen. Kiska sieht ein zentrales Problem im Aufstieg von Populismus, Radikalisierung sowie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Nationale Politiker gehen vermehrt dazu über, „Erfolge dem Nationalstaat, Misserfolge und Krisen der EU zuzuschreiben.“ Das slowakische Staatsoberhaupt warnte in diesem Zusammenhang vor der „Kraft der Worte“.

„Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“

Eine der Ursachen verorteten die Präsidenten in der „Selbstverständlichkeit und Alltäglichkeit vieler Dinge“ – das freie Reisen, die Absolvierung von Auslandssemestern, transnationale Freundschaften und Ehen sowie das Arbeiten in anderen Mitgliedstaaten der Union. In den 70er-Jahren benötigte Van der Bellen für seinen Dienstantritt in Berlin noch eine Aufenthalts- und eine Arbeitsgenehmigung. Dies sei zwar kein Problem gewesen, der wesentliche Unterschied – wie er mit Nachdruck betonte – bestand jedoch darin, dass dies „kein Recht“ gewesen sei. Kiska wies zudem auf die „großartigen Möglichkeiten für Unternehmen“ hin. Die offenen Grenzen und die Verflechtung der nationalen Volkswirtschaften hätten maßgeblich zum Erfolg der österreichischen, deutschen und slowakischen Wirtschaft beigetragen. Insbesondere werde aber die größte Errungenschaft negiert – die Europäische Union habe „70 Jahre lang für Frieden in einer Region gesorgt, die zuvor 300 Jahre lang von Krieg und Bürgerkriegen zerpflügt und zerfurcht“ worden war. „Das ist ein Riesengeschenk“, so Steinmeier. Diese „sehr erfolgreiche Integrationsgeschichte“ sei der Grund, weshalb die Kritik an der Europäischen Union „in keiner Weise Maß hat“, ist Steinmeier überzeugt.

„Wir brauchen keine freiwillige Verzwergung“

Da die Europäische Union von einem Zentralstaat „Lichtjahre entfernt“ ist, sei es zwar nicht einfach, sich auf ein gemeinsames Handeln zu einigen, so Van der Bellen. Die globalen Herausforderungen, mit denen sich die Europäische Union derzeit konfrontiert sieht, könne man aber nur gemeinsam lösen, waren sich die Staatsoberhäupter einig. Nationale Souveränität sei im 21. Jahrhundert eine Illusion, denn im Weltmaßstab „ist jeder europäische Staat ein Kleinstaat“; nur gemeinsam im transnationalen Verband mit anderen Mitgliedstaaten seien wir „etwas, mit dem andere rechnen müssen“, so Van der Bellen. „Das letzte, was wir brauchen, ist eine freiwillige Verzwergung“, so der österreichische Präsident. Was wir hingegen benötigen, seien starke Fürsprecher für die Europäische Union, sowohl auf nationaler als auch unionaler Ebene, so Kiska.

Wahlen 2019

Van der Bellen und seine Amtskollegen appellierten, an den kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen. Zudem mahnte das österreichische Staatsoberhaupt „zu überlegen, wer ein wahrer Patriot ist.“ „Ist es der, der den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts von gestern und vorgestern auf den Schild hebt, oder ist es der, der versteht, dass Souveränität heutzutage gebündelt werden muss?“

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