Seitlicher Blick auf das D4 Gebäude.

J. Hanns Pichler (†)

An obituary

Hanns Pichler wurde am 12. Mai 1936 in Aspach im Innviertel (Oberösterreich) geboren, absolvierte die Volksschule in Molln und maturierte 1954 am humanistischen Gymnasium der Franziskaner in Steyr. Danach nahm er das Studium an der Hochschule für Welthandel in Wien auf, erwarb 1958 den Titel des Diplomkaufmanns, 1960 das Doktorat. Schon früh unter dem Einfluss der Ganzheitslehre Othmar Spanns arbeitete er – unterbrochen durch ein Jahr an der University of Illinois (M.Sc.) – als Assistent von dessen Schüler Walter Heinrich am Institut für Politische Ökonomie, wo er 1967 habilitiert wurde. Schon 1965 hatte er in die Weltbank gewechselt, zunächst als Economist in Washington, ab 1970 als Senior Economist in Pakistan. (In dieser Zeit wurde der Vorname um das „J.“ erweitert.)

Von der Weltbank wurde Pichler als Nachfolger Heinrichs an die Hochschule für Welthandel berufen, wo er einen Schwerpunkt „Internationale Wirtschaft und Entwicklung“ aufbaute, der sich auch in der Bezeichnung des Instituts niederschlug. Von den vielen ausgeübten Funktionen an der Hochschule (später: WU) ist besonders die des Vorsitzes in der Fachgruppe Volkswirtschaft hervorzuheben, die er mehr als 25 Jahre lang (von 1975 bis 1997 bzw. 2001) innehatte. Er emeritierte 2004, geehrt mit vielen Auszeichnungen, unter anderem dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, 1. Klasse (1988), und dem Großen Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (2001). Zum 60. Geburtstag war eine Festschrift erschienen (Tichy, Matis & Scheuch, Hg., 1996).

Die wissenschaftlichen Beiträge Pichlers (deren Überfülle auf der Forschungsplattform Pure dokumentiert ist) lassen sich weitgehend drei Gebieten zuordnen: der Entwicklungsökonomie, der KMU-Forschung und den philosophischen Grundlagen sozialwissenschaftlicher Erkenntnis.

Die Befassung mit der Entwicklungsökonomie ergab sich schlüssig aus den langjährigen Erfahrungen in der Weltbank, die auch seine weitgehend pragmatisch orientierten inhaltlichen Beiträge prägten. Für die Forschung im Bereich der „Kleinen und Mittleren Unternehmen“ (KMU) boten mit der WU lose affiliierte Institute den Anknüpfungspunkt. Hier war Pichler tatkräftig an der Transformation der traditionellen „Gewerbeforschung“ in eine moderne KMU-Forschung beteiligt. Daneben war er, nicht nur in diesem Bereich, ein geschätzter Vortragender auf unzähligen Konferenzen, was er neben seiner fachlichen Kompetenz auch der außergewöhnlich guten Beherrschung der englischen Sprache (es heißt, nach seiner Rückkehr aus Pakistan habe er sich eine Zeitlang besser auf Englisch als auf Deutsch ausgedrückt), seinem persönlichen Charme und bei aller Festigkeit des eigenen Standpunkts der Bereitschaft zu offener Diskussion zu verdanken hatte.

Die wahre Vorliebe J. Hanns Pichlers galt aber der Philosophie, insbesondere der Ableitung der Sozialwissenschaften aus den Grundlagen der „philosophia perennis“. Hier stellte er sich in die Tradition der (umstrittenen) „universalistischen“ Lehre Othmar Spanns. Deren durchaus bedenklichen politischen Schlussfolgerungen versuchte er durch eine Interpretation im Sinne eines sozialpartnerschaftlichen Korporatismus die Spitze zu nehmen. Einer in diesem Sinne verstandenen Ganzheitsforschung blieb er zeit seines Lebens treu: Unter seiner Herausgeberschaft wurden die Othmar Spann-Gesamtausgabe abgeschlossen sowie die Gesellschaft für Ganzheitsforschung und deren Zeitschrift bis in die 2000er Jahre fortgeführt.

Die nüchterne Aufzählung der Daten und Fakten wird allerdings seiner Person keineswegs gerecht. Denn für ihn war, wie ich meine, die Universität mehr als eine bloße Arbeits- oder Forschungsstätte, sie machte vielmehr einen zentralen Teil seines Lebens aus. Das spiegelte sich in – von uns Assistent:innen am Institut als merkwürdig wahrgenommenen  – Eigenheiten wie der Vielzahl der von ihm im Institut verbrachten Wochenenden und dass er es oft vorzuziehen schien, sich im Sommer am Institut statt am Wörthersee aufzuhalten.

Die Professur hat Pichler im Jahre 1973 angetreten. Er hatte sich wohl eine Fortführung des Ordinariats in den damals üblichen traditionellen Bahnen erwartet. Doch in den 1970er Jahren machten die gesellschaftlichen Modernisierungstendenzen auch vor seiner Hochschule nicht halt: Die Expansion des Universitätsbetriebs bewirkte hier eine Vermehrung der VW-Professuren (von zuvor zwei auf acht am Beginn der 1980er Jahre) und damit freilich auch eine zunehmende Vielfalt der Lehrmeinungen. Erst jetzt kam es zum Anschluss der volkswirtschaftlichen Lehre an den „Mainstream“: Pichler war einer der ersten, der Vorlesungen aus „Mikro- und Makroökonomie“ ankündigte. Die UOG-Reform führte u.a. zu als „Entmachtung der Ordinarien“ wahrgenommenen neuen Mitbestimmungsrechten. Nicht alles davon mochte nach seinem Geschmack gewesen sein. Und obwohl er in der Folge über Jahrzehnte wichtige Positionen in diesem neuen institutionellen Gefüge einnahm, dürfte Pichler doch manchen zunehmend wie ein Relikt erschienen sein, das aus einer Welt, die so nicht mehr existierte, in eine neue Universitätslandschaft hineinragte und dem man am Ende zwar mit Respekt, aber doch auch Unverständnis begegnete.

Das alles bedeutete aber keinesfalls, dass er seine Funktionen, insbesondere in der Fachgruppe Volkswirtschaft, nicht ernst genommen hätte, im Gegenteil. Er sah es als seine Aufgabe, die „VW-Interessen“ gegen die konkurrierenden Ansprüche innerhalb der WU, insbesondere aus Anlass der wiederkehrenden Studienreformen, zu verteidigen. Das fiel umso schwerer, als die Fachgruppe selbst sich lange Zeit hindurch in einem durch die große Bandbreite der Lehrmeinungen ausgelösten und durch persönliche Animositäten verschärften permanenten Konfliktzustand befand. Es kann für ihn keine leichte Zeit gewesen sein. Immerhin konnte er es sich anrechnen, die Fachgruppe äußerlich weitgehend unbeschadet durch diese schwierige Zeit geführt zu haben.

Das Hauptaugenmerk Pichlers galt aber doch „seinem“ Institut, oder so will es jedenfalls meiner subjektiven Einschätzung aus den knapp drei Jahrzehnten erscheinen, dem ich diesem unter seiner Leitung angehört habe. Seine Vorstellung eines Institutsvorstandes war die eines fürsorglichen, aber durchaus auf seine Autorität pochenden „pater familias“, wobei sich die oder der Einzelne in der dadurch geschaffenen Atmosphäre erst zu behaupten wissen musste. Kein Freund hoher Fluktuation unter den Mitarbeiter:innen, war es sein Ziel, allen daran Interessierten die Chance einer akademischen Karriere zu bieten, eine Option, deren Erfolg freilich zunehmend nicht mehr von seinem alleinigen Gutdünken abhing. Es war auch ungewöhnlich, dass er Forschungsfelder der von ihm Geförderten akzeptierte, die keine Schnittmenge mit seinen eigenen aufwiesen. Diese Strategie führte zu manchen erfolgreichen Habilitationen – am glänzendsten wohl die des früh verstorbenen Engelbert Dockner, der zu einem führenden Finance-Professor des deutschen Sprachraums aufstieg, sie hinterließ aber auch gebrochene Karrieren.

Es mag auf diese Art der Institutsführung J. Hanns Pichlers und des von ihm geschaffenen Klimas zurückzuführen sein, dass er zu den mehrmals im Jahr stattfindenden regelmäßigen Treffen vormaliger Mitglieder des Instituts stets als ein gern gesehener Gast eingeladen wurde. Dabei füllte er die Rolle des Emeritus und ehemaligen Dienstvorgesetzten mit heiterer Gelassenheit aus. Bei einem Treffen im Frühjahr 2022, dem letzten, bevor ihn die Krankheit ereilte, von der er sich nicht mehr erholen sollte, haben wir ihn noch einmal in dieser abgeklärten Einstellung gegenüber den Wechselfällen des Lebens erlebt. So wollte er wohl auch in Erinnerung behalten werden.

Am 7. Oktober 2024 ist J. Hanns Pichler nach langer schwerer Krankheit verstorben.

Hansjörg Klausinger

Für wertvolle Hinweise danke ich Josef Mugler, Hilde Renner und Maria Stückler.

Literatur:
Tichy, Geiserich E., Herbert Matis & Fritz Scheuch, Hg. 1996. Wege zur Ganzheit. Festschrift für J. Hanns Pichler. Berlin: Duncker & Humblot.