Reklamemarkensammlung Prof. Günter Schweiger
Im Jahr 1974 wurde am ehemaligen Institut für Werbewissenschaft und Marktforschung an der Wirtschaftsuniversität Wien – heute das Institute for Marketing & Consumer Research – eine Sammlung von mehr als 18.000 Reklamemarken wiederentdeckt. 1997 fand in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Nationalbibliothek die Ausstellung „Die Marke um 1900“ statt. Aus dem großen Erfolg der Ausstellung und der Bedeutung der Sammlung entstand die Idee, ein digitales Reklamemarkenarchiv zu schaffen, das durch die KR Wilhelm Wilfling Stiftung gefördert wurde. Da das ursprüngliche Archiv den aktuellen technologischen Anforderungen nicht mehr entsprach, wurde es in die digitalen Sammlungen der Universitätsbibliothek integriert.
Das digitale Reklamemarkenarchiv gliedert sich in zwei Hauptbereiche: Zum einen können die vollständigen Seiten der einzelnen Ordner und Alben durchgeblättert werden, zum anderen ist es möglich, jede Reklamemarke einzeln zu betrachten, wobei die entsprechenden Metadaten angezeigt werden. Die Bildqualität der einzelnen Marken ist nicht durchgehend einheitlich, daher werden Abbildungen von geringerer Qualität nach und nach durch hochauflösendere Versionen ersetzt. Auf Anfrage können Marken mit höherer Auflösung auch bevorzugt bereitgestellt werden.
Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte der Reklamemarken
Mit der Standardisierung der Korrespondenz um 1850 – und inspiriert von der Form und Beschaffenheit einer Briefmarke – sollte auch das Verschließen von Briefen, welches zu dieser Zeit meist noch mit Siegeln aus Wachs und Lack erfolgte, durch das Aufkleben einer Marke einfacher gestaltet werden. Form und Beschaffenheit einer Briefmarke wurden übernommen und Mitte des 19. Jahrhunderts erschien die erste Verschlussmarke, die, wie der Name schon sagt, dem Verschließen von Briefen diente.
Das 19. Jahrhundert war geprägt von der Industrialisierung, dem Beginn der Massenproduktion und somit der steigenden Bedeutung von Markenartikeln. Dadurch wurde die Werbung immer wichtiger. Bald entdeckten auch Unternehmen die Verschlussmarke und nutzten sie für ihre Werbebotschaft. So wurde aus der Verschlussmarke die Reklamemarke.
Die Reklamemarke als Werbemittel erlebte ihre Blütezeit etwa von 1900 bis 1914. Sie wurde für die Bewerbung von Produkten und Dienstleistungen sowie für die Ankündigung von Veranstaltungen eingesetzt. Reklamemarken waren ein weit verbreitetes und international eingesetztes Werbemittel. Messen, Ausstellungen, Kongresse und andere Anlässe wurden weltweit mit Reklamemarken beworben. Die Motive der Reklamemarken waren vielfältig und spiegeln die Welt um 1900 wider. Sie zeigen Landschaften und Städte, den Verkehr zu Lande und zu Wasser, die Eroberung der Lüfte, die damalige Mode oder Produkte des täglichen Bedarfs. Sie geben Aufschluss über erfolgreiche Unternehmen, eine kontinuierliche Markenführung oder auch Produkte und Marken, die es heute nicht mehr gibt.
Reklamemarken wurden auch Produkten beigelegt und dienten als Anreiz zum Kauf. Da ein regelrechter Sammelboom um die Reklamemarke entstand, wurde sie zu einem bedeutenden Verkaufsförderungsinstrument. Aus diesem Grund wurden nicht nur Reklamemarken herausgegeben, die einen Hinweis auf die Marke oder das Unternehmen enthielten, sondern auch sogenannte „Sammelbilder“, die oft Teil einer Serie waren. Die Konsument*innen waren bestrebt die komplette Serie zu erhalten, was zu Wiederholungskäufen und zur Markentreue führen sollte.
Sammler*innen verwahrten ihre Stücke in Alben, Heften, Notizbüchern oder einfach lose in kleinen Kisten. Nach dem ersten Weltkrieg entstanden neue Medien, wie zum Beispiel der Rundfunk. Zeitungen und Zeitschriften wurden zunehmend als Werbeträger genutzt. Die Reklamemarken kamen allmählich aus der Mode und gerieten weitgehend in Vergessenheit. Nur ein Bruchteil der Sammlungen überlebte. Diese zu Raritäten gewordenen Reklamemarken wurden gegen Ende des 20. Jahrhunderts wieder begehrt.
Grafische Gestaltung der Reklamemarken
Um mit diesem kleinen Medium eine optimale Werbewirkung zu erzielen, war die grafische Gestaltung von zentraler Bedeutung. Die Inhalte der Botschaften, die mit den Reklamemarken vermittelt wurden, sind mit denen auf Plakaten und Anzeigen vergleichbar, mussten aber mit weit weniger Platz auskommen.
Eine Vielzahl von Künstler*innen und Gebrauchsgrafiker*innen gestaltete Reklamemarken, darunter auch bekannte Namen wie Lucian Bernhard, Ludwig Hohlwein, Peter Behrens, Ernst Deutsch, Fritz Hellmuth Ehmcke, Thomas Theodor Heine, Koloman Moser, Alfons Maria Mucha, Egon Schiele, Fritz Schönpflug, Franz von Stuck, Joseph Urban, Leon Lico Amar, Julius Gipkens oder Max Eschle.
Einige Unternehmen hatten einen festen Stamm von Grafiker*innen, die sowohl Plakate als auch Werbemarken entwarfen. Diese Vielzahl an Künstler*innen und die Tatsache, dass die Reklamemarke nahezu von allen Branchen als Werbemittel genutzt wurde, ist der Grund für die Mannigfaltigkeit der Markenmotive.
Ein Großteil der Reklamemarken blieb unsigniert. Es gibt daher oft keine Aufschlüsse über ihre Urheber*innen.
Markenarten
Reklamemarke
Die ursprüngliche Bedeutung der Reklamemarken lag im Verschließen von Briefen. Sie wurden aber nur kurze Zeit als reine Verschlussmarken verwendet und entwickelten sich bald zum begehrten Sammelobjekt. Im Speziellen sind darunter jene Exemplare zu verstehen, die für ein Produkt Werbung betreiben. Es gibt sie als Einzelmarken oder als komplette Serien.
Anlassmarke
Anlassmarken bilden ebenfalls eine Untergruppe im Gesamtgebiet der Reklamemarken. Sie wurden, wie schon der Name sagt, gedruckt, um einen bestimmten Anlass bekannt zu geben, ein Jubiläum zu feiern oder um als Werbemittel für Ausstellungen, Veranstaltungen (z.B. Heimatfeste), Messen und Kongresse zu fungieren. Ausstellungsmarken waren oftmals die verkleinerte Form des für die Ausstellung werbenden Plakats.
Ausstellung
Veranstaltung
Kongress
Messe
Jubiläum
Gedenktage
Militärmarke
Nach dem enormen Aufschwung der Reklamemarken begann sich auch das Militär dieser Propagandamethode zu bedienen. Dargestellt wurden oft die Gründer oder Kommandanten der einzelnen Regimenter oder Truppen. Im ersten Weltkrieg floss der Erlös einiger Militärmarken karitativen Zwecken zu.
Wohltätigkeitsmarke
Wohltätigkeitsmarken sind sowohl den Verschlussmarken als auch den Reklamemarken zuzurechnen. Ihre Besonderheit liegt darin, dass durch ihren Verkauf ein wohltätiger Zweck gefördert wurde.
Sammelbild
Sammelbilder sollten durch ein Bildpräsent – etwa in Form des Kaufmannsbildes, Automatenbildes oder der Werbeoblate – der Ware beigelegt werden, um den Kund*innen einen Anreiz für einen erneuten Kauf zu geben. Später wurde dieser Effekt durch die Ausgabe von Serien noch verstärkt.
Siegel
Die runden oder ovalen Marken wurden oft mehrfarbig bedruckt und geprägt. Vorerst waren es vor allem Ämter und andere offizielle Stellen, die sich ihrer bedienten. Später wurde die Siegelmarke auch von Privaten oder Geschäftsleuten für ihre Werbezwecke genutzt.
Signet
Signets oder Signete nennt man die seit dem 15. Jahrhundert gebräuchlichen Drucker- und Verlegerzeichen. Ursprünglich hatte das Signet die Bedeutung einer Herkunfts- oder Urhebermarke. Später fand das Signet auch für andere Werbungen Verwendung.
Die herausragendsten Reklamemarken der Sammlung werden in dem Buch Schweiger G., Spicko G., „Die Reklamemarke – Das Werbemittel der Gründerzeit“, erschienen in der Bibliophilen Edition (ISBN: 9783950205282), vorgestellt. Der vorliegende Text besteht aus Auszügen aus diesem Werk.