Genossenschaften im Christentum

06. April 2021

Passend zu Ostern handelt dieser Blogeintrag von den Gemeinsamkeiten und Verbindungen des Christentums und Genossenschaften. Neben einem kurzen historischen Abriss wird auch die Ordensgenossenschaft der Priester des Heiligsten Herzens Jesu vorgestellt.

Lesezeit: 5 Minuten

Historie

Die Verbindung genossenschaftlicher und geistlicher Grundsätze beginnt bereits im Mittelalter in Form von Bruderschaften, welche die Verknüpfung von wirtschaftlichen und christlichen Zielen idealtypisch verwirklichen wollten. Auf Basis der genossenschaftlichen Selbsthilfe sollte Schutz vor den vielen Unsicherheiten des damaligen Lebens geboten werden. Wirtschaftlich orientierte man sich an weltlichen Gilden und Zünften, die gemeinsame Verehrung von Heiligen bildete das geistliche Fundament (Klein 2016).

Einer der Mitbegründer des modernen Genossenschaftswesens griff diese Verbindung ebenfalls auf. Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) selbst war ein tiefreligiöser Mann, welcher stark vom Gedanken der Nächstenliebe geleitet war (Raiffeisenverband OÖ o. J.). Dies zeigte sich unter anderem in dem von Raiffeisen forciertem Engagement der Ortsgeistlichen in den Genossenschaften. Auch der japanische Sozialreformer Toyohiko Kagawa (1888-1960) war der Überzeugung, dass das Christentum ohne Gestaltung der Wirtschaftsordnung inkonsequent bliebe und sprach von Genossenschaften als einer Form des aktiven Christentums (Günkel 2018).

Eine solch aktive Form lässt sich auch in Hofingers (1987) fünf Leitsätzen für Schulze-Delitzsch-Genossenschaften finden:

  • Dienen, nicht nur verdienen

  • Vorwärts durch eigene Kraft

  • Mitgestalten und Mitverantworten

  • Selbstkontrolle stärkt Vertrauen

  • Gemeinsam stark

Damit rücken jene (christlichen) Wertevorstellungen und Glaubenssätze in den Vordergrund, die im Kapitalismus häufig auf der Stecke zu bleiben scheinen bzw. schienen. Bis in die heutige Zeit wirken Genossenschaften als eine Art des gemeinsamen Wirtschaftens, in dem eben nicht der/die Einzelne, sondern die Gruppe im Mittelpunkt der Unternehmungen steht, und das obwohl - oder gerade weil - Genossenschaften auf Prinzipien wie Selbstverantwortung, Selbsthilfe und Selbstverwaltung aufbauen.

Abgesehen von genossenschaftlich organisierten Unternehmen, die also „idealtypisch“ eine Reihe von Parallelen zwischen christlichen Tugenden und ihren Prinzipien verzeichnen können, existiert eine Art der Ordensgemeinschaft, die sich selbst als Genossenschaft bezeichnet. Eine solche Ordensgenossenschaft soll nachfolgend exemplarisch vorgestellt werden.

Ordensgenossenschaft der Priester des Heiligsten Herzens Jesu

Der baskische Priester Michael Garicoïts gründete 1834/35 die „Societas Sacratissimi Cordis Jesu – Bétharram“ (zu Deutsch „Genossenschaft der Priester des Heiligsten Herzens Jesu“, auch bekannt als Priester von Bétharram) (linkfang.org 2020).

Michael Garicoïts hatte bei der Gründung vor allem den Schul- und Erziehungsbereich im Auge, welcher bis heute für das Wirken der Priester von großer Relevanz ist. Die drei Säulen, auf welchen die Gemeinschaft bis heute aufbaut, sind die folgenden:

  1. Geistliches Leben: in der Einheit mit Christus verwurzelt und ganz den Menschen geschenkt

  2. Gemeinschaftliches Leben, das „von der strahlenden Güte und der demütigen Kühnheit der ersten Tat des Heiligsten Herzens zeugt“ (Societas Sacratissimi Cordis Jesu 2008a, Abs. 4)

  3. Apostolisches Leben, „das auf die Rufe der Kirche und der Menschheit zu antworten sucht“ (ibidem).

  4.  

Seit ihrer Gründung hat sich die Genossenschaft in alle Welt verbreitet: Heute gibt es nicht mehr nur Niederlassungen in Europa, sondern auch in Südamerika, Afrika und Asien (Societas Sacratissimi Cordis Jesu 2014). Man sieht sich als internationale Familie, die sich aus 330 Priestern und Ordensleuten sowie sozial engagierten Nicht-Geistlichen zusammensetzt. Die gemeinsamen Ziele umfassen neben Erziehung und Bildung der Jugend Animation in Pfarrgemeinden, sowie die Unterstützung von Entwicklungsprojekten (Societas Sacratissimi Cordis Jesu 2008a). Hierbei variiert der Schwerpunkt je nach Region: In Europa hat sich die pastorale Tätigkeit von einem fast ausschließlichen Engagement im Bildungsbereich zu vielfältigen pastoralen Programmen weiterentwickelt: Bildungsmissionen und Seelsorgeeinheiten, Animation bestimmter Gruppen und Präsenz in den neuen Armenvierteln zählen hier zu den Aufgaben.

In Lateinamerika hingegen spielt die Präsenz im Bildungsbereich nach wie vor eine große Rolle. Vor allem in städtischen und marginalisierten Vierteln sind die Genossenschaftsmitglieder aktiv. In Afrika und Asien ist die Genossenschaft erst seit relativ kurzer Zeit vertreten: 1952 wurde in Thailand, 1959 in der Elfenbeinküste Fuß gefasst. Seit 1986 ist man in Zentralafrika tätig, seit 1995 auch in Indien. Die Tätigkeiten umfassen hierbei drei Hauptbereiche: Hilfe für den lokalen Klerus, Hilfestellung hinsichtlich der Deckung menschlicher Grundbedürfnisse (beispielsweise durch Schulen und Apotheken), sowie die Aufnahme und Ausbildung junger Menschen, die sich für das Ordensleben bewerben (Societas Sacratissimi Cordis Jesu 2008b).

In ihrer Sorge um lokale Gemeinschaften werden auch neue Genossenschaften gegründet, um den Bedürfnissen ebendieser leichter nachzukommen. So wurde in Argentinien gemeinsam mit Eingeborenenstämmen eine Genossenschaft gegründet, um Honig und Gegenstände zu vertreiben, welche aus heiligem Holz, „palo santo“, hergestellt werden. Ebendiese „Sorge um lokale Gemeinschaften“ ist exemplarisch für die enge Verbindung christlicher und genossenschaftlicher Werthaltungen: So ist es kein Zufall, dass die Sorge um die Gemeinschaft eines der sieben Rochdale-Prinzipien ist, welche laut der International Co-operative Alliance nach wie vor das Fundament für Genossenschaften bilden.

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an jana.stefan@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

Autorin: Jana Stefan

Literatur

Günkel, Matthias. 2018. „Japanische Pläne eines genossenschaftlichen Staates“. Genonachrichten. 18. April 2018. www.genonachrichten.de/2018/04/18/japanische-plaene-eines-genossenschaftlichen-staates/. (letzter Zugriff am 01.04.2021)

Hofinger, Hans. 1987. Moral und Verantwortung in der Wirtschaft. In: Brandner & Hofinger (Hrsg.), Moral und Verantwortung in der Wirtschaft. Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensführung. Wien: Schultze-Delitzsch Schriftenreihe.

Klein, Michael. 2016. Genossenschaften - Reformation Heute. Hannover: creo-media.

linkfang.org. 2020. „Priester des Heiligsten Herzens Jesu“. LinkFang. 22. November 2020. de.linkfang.org/wiki/Priester_des_Heiligsten_Herzens_Jesu. (letzter Zugriff am 01.04.2021)

Raiffeisenverband OÖ. o. J. „Geschichte“. Raiffeisenverband Oberösterreich. www.rvooe.at/de/genossenschaft-verstehen/geschichte.html. (letzter Zugriff am 01.04.2021)

Societas Sacratissimi Cordis Jesu. 2008a. „Who are we ?“ Societas Sacratissimi Cordis Jesu - Bétharram. 23. September 2008. www.betharram.net/en/famille-en. (letzter Zugriff am 01.04.2021)

Societas Sacratissimi Cordis Jesu. 2008b. „Mission“. Societas Sacratissimi Cordis Jesu - Bétharram. 2. Oktober 2008. www.betharram.net/en/mission-en. (letzter Zugriff am 01.04.2021)

Societas Sacratissimi Cordis Jesu. 2014. „Where“. Societas Sacratissimi Cordis Jesu - Bétharram. 5. Juni 2014. www.betharram.net/en/famille-en/ou-en. (letzter Zugriff am 01.04.2021)

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