collectiv:a – Ein neuartiges Modell der Zusammenarbeit in der Beratungsbranche

06. Mai 2024

„Unternehmensberatung braucht ein Update“, meint Katharina Binder. Inmitten dieser Dynamik bietet die Genossenschaft collectiv:a eine innovative Organisationsform, die auf Kooperation und Gleichberechtigung setzt. Katharina Binder, eine der Mitbegründerinnen von collectiv:a, teilt in diesem Blogbeitrag ihre Erfahrungen und Beweggründe für die Wahl dieser Rechtsform.

Warum eine Genossenschaft?

Die Gründung von collectiv:a resultierte aus dem Wunsch der Gründungsmitglieder, selbstbestimmt und gleichberechtigt zu arbeiten, ohne die typischen Einschränkungen einer kapitalzentrierten Unternehmensstruktur. Die Gründerinnen, allesamt erfahrene Unternehmensberaterinnen aus verschiedenen Bereichen, wollten eine Umgebung schaffen, in der jede und jeder gleichermaßen zum Erfolg des Unternehmens beiträgt und sowohl finanziell als auch vom Erfahrungsaustausch untereinander profitiert. Die genossenschaftliche Rechtsform bot hierfür die idealen Voraussetzungen, auch wenn collectiv:a durch ihr innovatives Vorgehen ab und zu die Grenzen der Rechtsform austestet. Beispielsweise gibt es keine alleinige Vorstandsvorsitzende, sondern alle 4 Gründerinnen teilen sich die Verantwortung und Unternehmensführung gleichermaßen. Um dies gut und geregelt ausführen zu können wird Rollen-basiert gearbeitet. Verschiedene Rollen, wie zum Beispiel Buchhaltung, Social Media Marketing, Website, die Facilitierung des gegenseitigen Lernens wurden definiert und diese nach Stärken und Vorlieben der einzelnen Mitglieder vergeben.

Auch die Flexibilität hinsichtlich Ein- und Austritt in die Organisation war ein entscheidender Grund, warum man sich für eine Genossenschaft entschieden hat. Denn, während der Ein- und Austritt in eine Kapitalgesellschaft oder eine Personengesellschaft mitunter aufwendig ist und mit viel Bürokratie einhergeht, erfolgt der Ein- und Austritt in die Genossenschaft mit dem Beschluss des Vorstands. Dies soll es ermöglichen, dass man ohne große Probleme aus collectiv:a aussteigen kann, sollte das Konzept nicht mehr zu den Lebensumständen der Mitglieder passen.

Die Rolle des Revisionsverbandes

Der Wunsch, sich mit anderen Selbstständigen zusammenzutun, kam bei Katharina Binder im Jahr 2022 auf, als sie mit einer Kollegin feststellte, dass das Arbeiten als Einzelunternehmerin sich mit der Zeit einsam und isoliert anfühlte und dass sie deshalb eine Möglichkeit finden wollten, „gemeinsam selbstständig“ zu sein. Beide hatten dabei ähnliche Vorstellungen, nämlich „etwas Eigenes aufzubauen“, das Fachexpertise in verschiedenen Bereichen (Innovation, Customer Experience, Agiles Arbeiten, Nachhaltigkeit, etc.) mit Organisationsentwicklung verbindet und gleichzeitig seniore Berater*innen mit ähnlichen Werten und einem gemeinsamen Purpose vereinen konnte. Als noch zwei weitere Kolleginnen von dem Konzept begeistert einstiegen, wurde der Österreichische Genossenschaftsverband kontaktiert, um zu eruieren, ob die Genossenschaft als Rechtsform den Zweck erfüllen könnte.

Der Revisionsverband spielte eine zentrale Rolle in der Betreuung und Unterstützung der Selbstständigen, indem er Beratung in rechtlichen und organisatorischen Fragen anbot. Danach war der offizielle Gründungstermin nur noch zwei Monate entfernt. „Es ging sehr schnell, weil du an die Hand genommen wirst und eigentlich sehr wenig selbst machen musst“, beschreibt Frau Binder den Vorgang im Interview. Als Förderzweck der Genossenschaft wurde der gemeinsame Vertrieb, die gemeinsame Projektabwicklung und der Austausch von Expertise festgelegt.

Aufnahme neuer Mitglieder

In Österreich sind 87% der Unternehmersberater*innen Einzelunternehmen (WKO, 2024). Dennoch wollen viele nicht allein arbeiten. Dies hat auch collectiv:a gemerkt. Nach der Gründung der Genossenschaft gab es einen regen Zulauf an Kollaborationsanfragen, in denen sich ähnliche Beweggründe abzeichneten: der Wunsch nach mehr Austausch, Zusammenarbeit und der Vernetzung mit anderen Selbstständigen.

Jedoch werden neue Interessent*innen nicht direkt vollwertige Mitglieder der Genossenschaft, sondern es wird zunächst – im Interesse aller Beteiligten – der „Fit“ der Person mit der Genossenschaft unter die Lupe genommen. Neue Interessent*innen durchlaufen daher zunächst eine Probezeit als Kooperationspartner*innen”, während der beide Seiten die Möglichkeit haben, die gegenseitige Eignung zu evaluieren. Diese Phase ist entscheidend, um einerseits sicherzustellen, dass neue Mitglieder nicht nur fachlich geeignet sind sondern um andererseits auch zu prüfen, ob ein gemeinsames Verständnis darüber besteht, wie Beratung funktionieren soll, ob die repräsentierten Werte übereinstimmen und ob ein annähernd gleiches „Commitment“, sich in der Genossenschaft einzubringen, besteht. Die Beziehung zwischen den Mitgliedern untereinander und als Teil der Genossenschaft wird in weiterer Folge nicht nur in der Satzung, sondern auch in einem Kollaborationsvertrag, den jedes Mitglied zu unterschreiben hat, verschriftlicht. Dies sorgt für Transparenz und faire Bedingungen bei der Zusammenarbeit in der Genossenschaft.

Kontrast zum typischen Beratungsleben

Im Gegensatz zum oft hektischen und manchmal auch isolierenden Arbeitsumfeld in traditionellen Beratungsfirmen oder Einzelunternehmen, fördert collectiv:a eine Kultur der Zusammenarbeit und des gemeinsamen Wachstums. Die Mitglieder teilen nicht nur ihre Ressourcen und Expertise, sondern auch die Verantwortung für den Erfolg und das Wohlergehen des Unternehmens. "Wir haben uns dazu entschieden, unser Handeln im Miteinander und der Führung des Unternehmens immer wieder aktiv zu hinterfragen. Tun wir bestimmte Dinge nur deshalb so, weil wir auf eine bestimmte Art und Weise sozialisiert wurden, oder handeln wir basierend auf unseren Werten und unserer Vision von einer kollaborativeren und faireren Zukunft?", erklärt Frau Binder. Dies bedarf viel Selbstreflexion und Verständnis für die Blickwinkel der anderen und kann manchmal auch kurzzeitig befremdlich sein. So zum Beispiel, als die Frage aufkam, wie viel Vertrauensvorschuss den neuen Kollaborationspartner*innen entgegengebracht werden würde, und wie sehr diese in alltägliche Prozesse der Mitglieder eingebunden werden sollten, sagt sie. Die Genossenschaft strebt darüber hinaus eine möglichst offene Unternehmenskultur an, in der es einen „Safespace“ gibt, wo auch über Spannungen und Probleme ehrlich gesprochen werden kann. Ein Vorteil für die Kund*innen von collectiv:a besteht darüber hinaus darin, dass, anders als bei normalen Unternehmensberatungen, ausschließlich erfahrene Senior Berater*innen und Coaches am Projekt arbeiten, und nicht, wie in großen Beratungsunternehmen üblich, auch einmal Junior-Berater*innen sehr viel Verantwortung übertragen bekommen.

Zukunft und Entwicklung

Aufgrund ihres jungen Alters steht collectiv:a vor spannenden Entwicklungen. Die Genossenschaft plant, ihre Mitgliederbasis behutsam zu erweitern und das Unternehmen nachhaltig weiterzuentwickeln, um den Bedürfnissen der Kund*innen und Mitglieder gerecht zu werden und gleichzeitig den definierten Grundwerten treu zu bleiben. Neben dem Hauptanliegen, eine stabile Finanzierung der Genossenschaft sicherzustellen, sind auch der Aufbau einer Solidaritätsrücklage für Cashflow-Engpässe einzelner Mitglieder und die Möglichkeit, sich in Teilzeit in die Genossenschaft einzubringen, geplant. Und: Auch wenn die Gründerinnen gemerkt haben, wie schön Homogenität bei der Denkweise und den Werten sein kann, soll in Zukunft weiterhin ein starker, proaktiver Fokus auf Diversität und Inklusion liegen.

Conclusio

Die Erfahrungen von collectiv:a zeigen, dass die Genossenschaftsform auch in der modernen, wissensbasierten Wirtschaft eine wertvolle und leistungsfähige Rechtsform darstellt. Sie bietet eine Plattform für die gleichberechtigte Zusammenarbeit, die nicht nur den Mitgliedern, sondern auch den Kund*innen und der Gesellschaft zugutekommt. Collectiv:a steht exemplarisch für die Möglichkeit, durch gemeinsame Werte und Ziele eine nachhaltige und erfüllende Arbeitsumgebung für alle Stakeholder zu schaffen.Natürlich ist wie auch überall sonst im Leben auch bei collectiv:a nicht alles perfekt, aber Spannungen und Herausforderungen ließen sich bisher durch die kollaborative Kultur und klare Kommunikation immer schnell und gezielt lösen. Auf die Frage, was ihr am meisten an der Genossenschaftslösung gefällt, antwortet sie: „Alles. Die Menschen. Das wirklich Gemeinsame“.

Wir bedanken uns für das Interview, die spannenden Einblicke in die Branche und wünschen collectiv:a weiterhin viel Erfolg!

Quellen:

WKO (2024). Die Zukunft der Unternehmensberatung. Wie sich Ein-Personen-Unternehmensberater:innen und kleine Unternehmensberatungen für die Zukunft aufstellen können. https://www.wko.at/wien/news/strategiepapier-zukunft-der-unternehmensberatung.pdf (zuletzt abgerufen: 22.05.2024)

Impressionen aus der collectiv:a Genossenschaft

Interviewpartnerin: Katharina Binder

Portraitfoto Katharina Binder

© Victoria Posch

Das Forschungsinstitut für Kooperationen und Genossenschaften freut sich sehr, dass für diesen Beitrag Katharina Binder, Gründungs- und Vorstandsmitglied der collectiv:a Genossenschaft, als Interviewpartnerin bereitstand. An dieser Stelle bedanken wir uns noch einmal recht herzlich für das Gespräch!

Link zur Website der collectiv:a Genossenschaft

Autor und Interviewer: Emil van de Vondervoort

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

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