Die Master Class CEE in Bukarest – Von Wachstumspotentialen bis zum Schengen-Veto

16. Mai 2023

Die zweite Exkursion (7.-10.5.) führte die Master Class CEE 2022-23 nach Bukarest. Bukarest in Rumänien wurde ausgewählt, um ein Kontrastprogramm zu Warschau zu liefern, das wir im Februar besuchten. Es sind die Hauptstädte von zwei Ländern des aufstrebenden Europas, die an die Ukraine angrenzen und daher vom Krieg in der Ukraine besonders betroffen sind.

Unsere 4-Tages Exkursion begann am Sonntag mit dem Besuch des Palasts des Parlaments, mit mehr als 5.000 Räumen eines der größten Gebäude der Welt und Ausdruck der Gigantomanie des kommunistischen Herrschers Nicolae Ceaușescu. Für den 1984 im neoklassizistischen Stil begonnenen und erst nach dem Sturz von Ceaușescu 1991 fertiggestellten Bau wurde große Teile der Altstadt abgerissen. Jahresproduktionen von inländischem Marmor, Holz, Kupfer, Kristallglas und Brokatstoff wurden für diese Herrschaftsarchitektur aufgewendet, 20,000 Menschen arbeiteten auf der Baustelle. Was für ein unvorstellbarer Aufwand und wofür? Heute beherbergt das Gebäude das rumänische Parlament und ein internationales Konferenzzentrum. 

Die weiteren drei Tage waren dann Besuchen von Advantage Austria, unserer Partneruniversität, der Bucharest University of Economic Studies (ASE), OMV PETROM, BCR und UiPath gewidmet. Mit den angeführten Unternehmen besuchten wir drei der zehn wertvollsten Unternehmen Rumäniens. Der österreichische Wirtschaftsdelegierte Gerd Bommer schaffte mit seinem Vortrag zur rumänischen Wirtschaft und Außenwirtschaft eine perfekte Hintergrundfolie für die Einordnung der folgenden Besuche. Er verwies auf die ungeheure Vielfalt der Wirtschaft, die von der Energiewirtschaft über Industrie, Landwirtschaft, Tourismus bis zu High-Tech-Unternehmen reicht. Leider können diese Stärken und Potentiale aufgrund von dürftiger (Verkehrs-)Infrastruktur, bürokratischen Hemmnissen und Rechtsunsicherheit nicht voll genutzt werden. Österreich spielt als zweitgrößter Direktinvestor eine wichtige Rolle im Land: OMV Petrom, die Banktochter BCR der Erste Group, VIG, Agrana, Novomatic, STRABAG oder Kronospan zählen zu den bekanntesten der 1,500 aktiven österreichischen Unternehmen.

An der Partneruniversität ASE erzählten uns die Vizerektoren Dorel Paraschiv und Marius Profiroiu von der erfolgreichen Qualitäts- und Internationalisierungsoffensive der Universität und wie sie sich um die Erlangung von internationalen Akkreditierungen bemühen. Im Vortrag zu „Doing Business in Romania“ verwiesen die Vortragenden auf die gute Wirtschaftsentwicklung in den letzten Jahren, die Rumänien zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in der EU machte. Die aktuelle EU Recovery and Resilience Initiative ist der Auslöser des größten Infrastrukturinvestitionsprogramms in der Geschichte Rumäniens. Gemeinsam mit dem EU-Budget 2021-27 geht es um EUR 100 Milliarden! Mit Bedauern mussten wir feststellen, dass das österreichische Veto zum Schengen-Beitritt Rumäniens unter unseren Gesprächspartnern auf Unverständnis stößt und sehr emotional kommentiert wird. Viele Rumän:innen fühlen sich unfair behandelt und als EU Bürger:innen zweiter Klasse. Sie nehmen das Veto der österreichischen Regierung sehr übel. Österreichische Unternehmen waren selbst von der Entscheidung überrascht und plötzlich mit Angriffen und Boykottdrohungen konfrontiert. Das ist wieder ein Beispiel, wie mit einer unbedachten politischen Entscheidung das über Jahre aufgebaute Vertrauen beschädigt wird.

Beim Besuch von OMV Petrom war das Gasexplorationsprojekt Neptun Deep im Schwarzen Meer kein Thema – zu heikel ist die aktuelle Diskussion darüber. Dafür bekamen wir einen Einblick in GROW, dem Leadership Culture Change Program, das die Energiewende unterstützen und vorantreiben soll. In mehreren Wellen sollen 700 Führungskräfte und 4,000 Team-Leader mit den Werten „We care – We are curious – We progress“ vertraut gemacht werden und lernen, sie in ihrer täglichen Arbeit zu vermitteln und umzusetzen.

Beim Besuch bei der Erste Bank Tochtergesellschaft BCR hob Ramona Kurko, Abteilungsleiterin im Corporate Banking, Rumäniens Wachstumsdynamik hervor sowie die Sektoren mit dem besten Ausblick: das sind Energiewesen, Landwirtschaft, Gesundheitswesen, Telekom und Transport. Rumänien und Polen werden gute Chancen vorhergesagt, nach dem Krieg vom Wirtschaftsaufschwung im Zuge des „Rebuilding Ukraine“ zu profitieren, speziell die rumänischen Bauunternehmen. Als aktuelle Herausforderungen für das Management nannte sie die hohe Inflation, steigende Rohstoffkosten, den Mangel an Personal sowie das regulatorische Risiko aufgrund zunehmender Eingriffe des Staates. In einem Vortrag zu George, dem Internetbanking-Ecosystem der Erste Bank, wurde auf die hohe Affinität der Rumänen zum mobile Banking hingewiesen. 1,3 Millionen George-User gibt es in Rumänien. 60% der Dienstleistungsverkäufe der BCR laufen über digitale Kanäle. Gleichzeitig haben 40% der Einwohner Rumäniens kein Bankkonto. Kein leichtes Unterfangen für eine Bank, diesen Spagat in der Marktabdeckung zu schaffen.

Mit dem Besuch beim UiPath, dem mit US-$ 35 Milliarden bewerteten Tech-Unicorn aus Rumänien, lernten wir eine andere Perspektive auf die rumänischen Wirtschaft sowie das Vorzeigeunternehmen aus dem Software-Bereich kennen. Software und ICT machen bereits 7% des BIP Rumäniens aus und prägen die lokalen Wirtschaften in Bukarest, Cluj-Napoca und Iasi. Uipath wurde 2005 in Bucharest von Daniel Dines und Marius Tirca gegründet, macht ca. US-$ 1 Milliarde Umsatz weltweit und ist der weltweit größte Anbieter von Robotic Process Automation Software und Diensten. Während wesentliche Entwicklungsaktivitäten noch in Rumänien angesiedelt sind, wurden 2017 die Headquarters nach New York City transferiert, wo das Unternehmen auch an der NYSE gelistet ist. Trotz des Fortschritts in AI und in der Produktentwicklung geht im Technologiebereich laut dem Vortragenden Serban Popescu immer um Menschen, die abgeholt und eingebunden werden müssen, damit das Produkt ein Erfolg wird.

Der Abend mit Alumni des Bucharest Executive MBA Programms blieb den Studierenden besonders in Erinnerung. Stefan Popescu, Koordinator des WU Alumni Hub Bucharest, organisierte für einen Talk mit uns die Alumni Gabriela Marin, Radu Pojoga und Liviu Serban. Die persönlichen Geschichten dieser erfolgreichen Manager und Unternehmer beeindruckten die MC CEE Studierenden. Speziell ihr Wunsch, ihrem Land und der Gesellschaft zu helfen, mit ihrem internationalen Wissen und ihrer Erfahrung zur Weiterentwicklung des Landes beizutragen, imponierte.

Fast alle MC CEE-Studierenden waren zuvor noch nicht in Rumänien. Die starken Gegensätze zwischen arm und reich, Modernität und Tradition, ausländischen und lokalen Unternehmen überraschten. Die Freundlichkeit und Offenheit unserer Gesprächspartner (trotz Schengen-Veto) bleiben unvergesslich. Die Diversität der Wirtschaft, die Vielzahl an Wachstumsmöglichkeiten und das Bestreben, die Probleme anzugehen, stimmen uns zuversichtlich für Rumäniens Zukunft.

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